Verfall von Versorgungsanwartschaften - Diskriminierung wegen des Geschlechts und des Alters - Lohngleichheitsgebot

Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG

9 I. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ruhegeld nach § 2 des Gesetzes über die zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung für Angestellte und Arbeiter der Freien und Hansestadt Hamburg (Ruhegeldgesetz). Nach § 2 Abs. 1 Ruhegeldgesetz in den während der Beschäftigung der Klägerin bei der Beklagten geltenden Fassungen vom 26. April 1966 und vom 31. Juli 1973 ist Voraussetzung für die Gewährung eines Ruhegeldes, dass der Arbeitnehmer nach Erfüllung der Wartezeit wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit oder wegen Alters aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Sie ist aus beiden Arbeitsverhältnissen mit der Beklagten vor Eintritt eines Versorgungsfalls (Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit, Alter) ausgeschieden. Das Ruhegeldgesetz in den hier maßgeblichen Fassungen sieht im Falle des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis die Aufrechterhaltung einer Versorgungsanwartschaft nicht vor.

10 II. Die Klägerin ist auch nicht mit einer gesetzlich bzw. richterrechtlich unverfallbaren Anwartschaft auf Ruhegeld aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ausgeschieden. Sie hat weder in dem ersten noch in dem zweiten Arbeitsverhältnis eine unverfallbare Anwartschaft erworben, da beide Arbeitsverhältnisse vor dem Ablauf der Unverfallbarkeitsfristen geendet haben. Die in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG in der hier maßgeblichen Fassung vom 19. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3610; im Folgenden: § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF) normierten Fristen für die Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften sind wirksam. Sie verstoßen weder gegen Unionsrecht noch gegen nationales Verfassungsrecht.

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16 aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats dürfen Dienstzeiten in unterbrochenen Arbeitsverhältnissen für die gesetzliche Unverfallbarkeit grundsätzlich nicht zusammengerechnet werden ... Dies gilt sowohl für die Berechnung der Betriebszugehörigkeit als auch für die Berechnung der Zusagedauer ...

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20 3. Die in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF normierten Fristen für die Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften sind mit Unionsrecht vereinbar und verfassungsgemäß.

21 a) § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF verstößt nicht gegen das Lohngleichheitsgebot des Art. 141 EG. Dies hat der Senat bereits mit Urteil vom 18. Oktober 2005 (- 3 AZR 506/04 - BAGE 116, 152) entschieden. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin ausreichenden Vortrag gehalten hat, aus dem geschlossen werden könnte, dass von dem Verfall von Versorgungsanwartschaften nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF mehr Frauen betroffen sind als Männer. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, läge darin keine unzulässige mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts.

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25 dd) Es kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, dass von dem Verfall von Versorgungsanwartschaften aufgrund des Erfordernisses einer zehnjährigen Zusagedauer bzw. einer zwölfjährigen Betriebszugehörigkeit mehr Frauen betroffen sind als Männer. Gleichwohl bewirkt die Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF keine unzulässige mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts. Die Regelung ist durch sachlich einleuchtende Gründe gerechtfertigt. Für die ungleiche Behandlung zwischen den Arbeitnehmern, die keine zehnjährige Dauer der Versorgungszusage oder zwölf Jahre ununterbrochener Betriebszugehörigkeit aufweisen einerseits und den Arbeitnehmern, die diese Grenzen überschritten haben andererseits, gibt es nach dem vom Gesetzgeber verfolgten Regelungsziel objektive Gründe, die nichts mit der Geschlechtszugehörigkeit der benachteiligten Arbeitnehmer zu tun haben. Zwar führt die in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF enthaltene Mindestaltersgrenze von 35 Jahren dazu, dass die gleiche Betriebstreue hinsichtlich der Unverfallbarkeit der Versorgungsanwartschaft unterschiedlich behandelt wird, je nachdem, ob die Betriebszugehörigkeit vor oder nach der Vollendung des 35. Lebensjahres erbracht wurde. Auf diese Ungleichbehandlung kommt es vorliegend jedoch nicht an, denn die Klägerin hat schon deshalb keine unverfallbare Anwartschaft erworben, weil sie die erforderliche Dauer der Versorgungszusage von zehn Jahren bzw. der Betriebszugehörigkeit von zwölf Jahren nicht erfüllt hat. Es ist deshalb unerheblich, dass sie bei ihrem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis zum 31. März 1979 das 35. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.

26 ... Die mit dem Betriebsrentengesetz eingeführten gesetzlichen Grenzen der Verfallbarkeit sind Vorschriften, die zugunsten der Arbeitnehmer in das Gesetz aufgenommen wurden und die Vertragsfreiheit der Parteien beschränken (BAG 18. Oktober 2005 - 3 AZR 506/04 - Rn. 19, BAGE 116, 152). Damit wurde auch die berufliche Mobilität der Arbeitnehmer gefördert. Die in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF bestimmte Mindestzusagedauer bzw. Mindestdauer der Betriebszugehörigkeit ist das Ergebnis eines Kompromisses zwischen Sozialschutz und Berufsfreiheit der Arbeitnehmer einerseits sowie der unternehmerischen Freiheit und dem Bindungsinteresse des Arbeitgebers andererseits. Mit der Einführung der Mindestzusagedauer von zehn Jahren und der Mindestdauer der Betriebszugehörigkeit von zwölf Jahren hat der Gesetzgeber zum einen den betrieblichen und wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers, die Entstehung einer Vielzahl von Kleinanwartschaften zu verhindern, Rechnung getragen. Zum anderen wurde die bisherige, durch die Rechtsprechung geschaffene Unverfallbarkeitsfrist von 20 Jahren halbiert und das Erfordernis einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung als Beendigungstatbestand aufgegeben. Damit ist der Gesetzgeber dem Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer nachgekommen. ...

27 ... Der Gesetzgeber hat die Unverfallbarkeit von persönlichen und sachlichen, geschlechtsneutralen Merkmalen abhängig gemacht, die das Interesse der Arbeitgeber an langer Betriebstreue, wirtschaftlicher Gestaltungsfreiheit und begrenzter finanzieller Belastung berücksichtigen. Diese Intention rechtfertigt jedenfalls zum Zeitpunkt des Ausscheidens der Klägerin auch eine – hier unterstellte - stärkere Betroffenheit von Frauen von dem Verfall von Versorgungsanwartschaften aufgrund der in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF getroffenen Regelung ...

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29 b) Die in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG aF bestimmte zehnjährige Zusagedauer bzw. die zwölfjährige Dauer der Betriebszugehörigkeit führen auch nicht zu einer unzulässigen Diskriminierung wegen des Alters. Beide Tatbestandsmerkmale knüpfen nicht an das Lebensalter des vorzeitig ausgeschiedenen Arbeitnehmers an. Daran ändert auch nichts, dass damit eine in jüngeren Jahren zurückgelegte Betriebszugehörigkeit von weniger als zehn Jahren - sofern die Gewährung einer Betriebsrente nach der Versorgungszusage nicht eine zehnjährige Wartezeit voraussetzt – anders behandelt wird als eine gleich lange Betriebszugehörigkeit, die mit Eintritt des Versorgungsfalls endet. ...

Den vollständigen Text des Urteils finden Sie hier ...

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